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Einer, der es wagte

Aussteiger Felix Benneckenstein diskutierte mit unseren Acht- und Neuntklässlern.
Aussteiger Felix Benneckenstein diskutierte mit unseren Acht- und Neuntklässlern.

Felix Benneckenstein, Aussteiger aus der Naziszene, diskutierte mit MGF-Schülern.

Irgendwann war der Punkt gekommen, an dem sich Felix Benneckenstein die Augen öffneten. Fast zehn Jahre war der heute 30-Jährige ein treuer Anhänger der NPD, war auf Nazi-Demonstrationen gegangen, hatte verschiedenen Gruppierungen angehört, die sich gegen Alles und jeden auflehnten, hatte bitterböse Parolen geschrieen gegen Ausländer und Andersdenkende. Dann aber war dieses eine Erlebnis, dieser Abend in München. Von diesem Zeitpunkt an verstärkte sich bei Felix Benneckenstein das Gefühl: Da will ich nicht mehr dazugehören. Er, der unauffällige Junge aus dem oberbayerischen Dorfen, er hatte genug – und wagte den Ausstieg aus der Naziszene, aus dem rechten Milieu. Ein mutiger, ein gewagter Schritt. Am vergangenen Dienstag nun erzählte Felix Benneckenstein den Acht- und Neuntklässlern am Maristen-Gymnasium von seiner Nazi-Vergangenheit, aber auch von seinem Mut, das alles zurückzulassen. Und er diskutierte mit den MGF-Schülern; es waren nachdenkliche, aber auch viele kritische und wichtige Fragen der Jugendlichen. Der Dienstagvormittag, er war wieder ein Beleg dafür, dass es lohnt – nicht nur für das MGF als "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage" –, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, damit es nicht in Vergessenheit gerät, ja zum Alltag wird.

Begrüßt hatte den Gast aus München Schulleiter Christoph Müller. Und Müller zeigte sich stolz, dass das MGF seit einigen Jahren die Auszeichnung als "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage" trägt. Dabei, betonte Müller, sei die Thematik eine ernste Angelegenheit: "Da reicht es nicht, ab und zu ein paar Kuchen zu verkaufen." Vielmehr würden Besuche wie die von Felix Benneckenstein, den Lehrerin Beatrix Hilpert organisiert hatte, helfen, das Bewusstsein bei den Schülerinnen und Schülern zu wecken. "Und es gehört schon viel dazu, zu seiner Vergangenheit zu stehen", bewunderte der MGF-Schulleiter nicht nur Benneckensteins Ausstieg aus der Szene, sondern auch seine Bereitschaft, über diese Zeit zu sprechen.

Anhand seines eigenen Werdegangs wollte Felix Benneckenstein den Jugendlichen zunächst zeigen, wie nahe und unerwartet der Weg hinein in die rechte Szene sein kann. Aufgewachsen in bürgerlichen Verhältnissen im beschaulichen Dorfen, kam bei Felix Benneckenstein dieser eine Punkt, an dem sich sein Leben radikal ändern sollte. Die Eltern zogen weiter nach Erding, wo es für Jugendliche zu der Zeit aber keinen Flecken gab: keinen wirklichen Platz, keine Möglichkeiten, Freunde zu treffen. Als Benneckenstein und seine Clique dann auch noch von einem örtlichen Polizisten von überall vertrieben wurde, fing es an mit dem Hass gegen Alles und Jeden. Überdies gab es Streit mit den Jugendlichen im Erdinger Jugendzentrum. Alles Dinge, so beschreibt es Benneckenstein heute, "die passieren können, aus denen man aber einfach die richtigen Schlüsse ziehen muss." Benneckenstein tat das nicht – und rutschte so immer tiefer rein in eine Welt der Frustration. Als er dann in seiner Clique auch noch in Kontakt mit rechter Rockmusik kam, fügte sich eines zum anderen. "Ich habe damals nicht gemerkt, dass diese rechte Musik voll von Propaganda ist." Denn wenn man diese Musik objektiv höre, "merkt man", so Benneckenstein weiter, "dass da kein klares Weltbild vermittelt wird." Jugendliche aber, so wie er einer war und die auf der Suche nach Hilfe sind, werden damit schnell vereinnahmt. Irgendwann, so beschrieb es Felix Benneckenstein am Dienstag, baut man die letzten Hürden auch noch ab. Während Teile seiner Clique bald doch noch den Absprung schafften, geriet er, der auf der Suche nach Halt und Orientierung war, immer tiefer hinein in die Welt der Nazis, ging zu seiner ersten Demonstration nach München. Er bekam rasch Aufgaben innerhalb der NPD, wurde integriert, spürte das Gefühl, verstanden zu werden. "Eigentlich hätte ich merken müssen, dass Minderheiten zu Mehrheiten gemacht wurden", berichtete Beneckenstein am Dienstag. "Spätestens, als ich die ganzen Waffen sah, hätte ich umdrehen müssen." Tat Benneckenstein aber nicht und wurde so fast zehn Jahre Mitglied einer irren Bewegung.

Bis zu diesem Erlebnis in Dortmund, das bald alles ändern sollte. Felix hatte sich zwar schon länger mit Zweifeln an der rechten Szene geplagt, nie aber den letzten Schritt gewagt. Im Ruhrgebiet traf Benneckenstein dann aber auf Leute, die ebenfalls Teile der Ideologie hinterfragt hatten und deswegen als Verräter galten. Als diese Gruppe dann eines Abends sogar angegriffen wurde, stellte sich Benneckenstein dazwischen, was vermutlich Schlimmeres verhinderte. Zurück in München, wurden die Zweifel dann stärker. "Ich war mir nicht klar, ob ich jetzt als Verräter gelte", berichtete Benneckenstein am Dienstag. Er vertraute sich Heidrun, Tochter einer Nazi-Familie, an. Gemeinsam lästerten sie nicht nur immer mehr über die Naziszene, sondern begannen auch, sich von dieser falschen Ideologie zurückzuziehen.  Als jedoch eine CD mit Naziliedern herauskam, die Felix einige Zeit zuvor aufgenommen hatte, folgte der Einbruch. Benneckenstein war viel unterwegs, trat auf mit seinen Liedern, trank viel, manchmal zu viel. Auch aus Kummer, weil seine Freundin das gemeinsame Kind verloren hatte, das sie nicht zum Nazi erziehen wollten. Eines Abends in München geriet er dann aber an eine Gruppe eben dieser Nazis. Diese richtete ihn so übel zu, dass Benneckenstein beschloss, endlich ganz auszusteigen. "Ich sagte gegen die Haupttäter aus – damit war ich raus aus der Szene." Seitdem hat sich das Leben von Felix Benneckenstein radikal geändert. In manchen Gegenden in Deutschland kann er nur mit Personenschutz unterwegs sein, in Dortmund etwa. Doch Benneckenstein will sich nicht verstecken, will kein anonymes Leben führen. Er spricht viel über seinen Ausstieg, arbeitet für die deutschlandweite Organisation Exit, die Aussteiger aus der rechten Szene unterstützt. Und kommt deswegen auch an Schulen wie das Maristen-Gymnasium, um Jugendliche zu sensibilisieren für dieses wichtige Thema, ja auch, um zu warnen. 

Unsere Acht- und Neuntklässler zeigten sich sehr beeindruckt vom knapp einstündigen Vortrag Benneckensteins – und stellten deswegen auch viele Fragen. Ob er denn noch in Gefahr sei, wollte eine Schülerin wissen, ob er sich extra schützen müsse, ein anderer. Überdies interessierte die Jugendlichen, was man selbst unternehmen könne, wenn man merke, dass ein Freund immer mehr in die rechte Szene abrutsche. "Das", so Benneckenstein, "kann man so nicht ohne weiteres sagen." Zum einen könne ein Abrutschen leider oft nicht ganz verhindert werden, da die Propaganda der Szene recht perfide sei. Jedoch gab Benneckenstein den Jugendlichen für solch eine Situation zwei Tipps: Zum einen solle man sofort etwas dagegen sagen, wenn blöde Sprüche kämen. Zum anderen "ist es an einem gewissen Punkt auch besser, den Kontakt abzubrechen." So wie er, Benneckenstein, es irgendwann gewagt hat.

sp

(letztes Foto: Schulleiter Christoph Müller und Lehrerin Beatrix Hilpert begrüßen Felix Benneckenstein)

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