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Große Alpencross-Reportage in der Zeitung


Münchner Merkur berichtet über MGF-Schüler

Anfang Juli haben sich 14 unserer Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu einem vielleicht einmaligen Abenteuer gemacht: Zusammen mit zwei Lehekräften meisterten die angehenden Abiturienten einen Alpenüberquerung vom Schliersee bis an den Gardasee. In einer Reportage für den Münchner Merkur schildert Lehrer Matthias Spanrad seine Eindrücke der sechs ereignisreichen Tage. Hier gibt's die Reportage zum Nachlesen, das Original gibt's hier als PDF.

Es ist Frei­tag­mit­tag. Eine Ta­ges­zeit, zu der ich als Leh­rer ei­gent­lich längst in mei­nen ver­dien­ten Fei­er­abend star­te, nicht aber in die­ser Woche An­fang Juli. Um mich herum ste­hen am Ma­ris­ten-Gym­na­si­um in Furth bei Lands­hut 14 junge Men­schen, 13 Jungs und ein Mäd­chen, die in den kom­men­den sechs Tagen Dinge und Mo­men­te er­le­ben sol­len, von denen sie zu die­sem Zeit­punkt noch nichts wis­sen. Sie wer­den Gren­zen über­win­den, kör­per­li­che auch, vor allem aber men­ta­le. Wer­den Dinge er­le­ben, die es im All­tag nicht gibt. Wer­den viel über Zu­sam­men­halt ler­nen, über die Schön­heit der Natur, dar­über, wie sehr ein­fa­che Dinge rei­chen kön­nen, um einen Tag zu einem be­son­de­ren wer­den zu las­sen.
Das Ganze be­ginnt be­reits ein Jahr zuvor. Ei­gent­lich habe ich mir vor­ge­nom­men, mit Schü­lern keine Al­pen­über­que­rung mehr zu un­ter­neh­men nach dem Erst­ver­such im Jahr 2016. Zu in­ten­siv waren die Er­leb­nis­se da­mals, zu groß meine Angst, mit der Fort­set­zung gna­den­los zu schei­tern. Und doch: Im Nach­hin­ein würde ich es be­reu­en, hätte ich nicht Ja ge­sagt, als eine Hand­voll Schü­ler vor dem Leh­rer­zim­mer stand und frag­te, ob ich für sie nicht doch eben­falls eine Al­pen­über­que­rung an­bie­ten könn­te. Daran er­in­ne­re ich mich, als ich nach sechs Tagen, 430 Ki­lo­me­tern und über 9000 ab­sol­vier­ten Hö­hen­me­tern am Gar­da­see stehe. Als ich be­glei­tet von 14 Ju­gend­li­chen und mei­nem Kol­le­gen To­bi­as Meier einen kur­zen Mo­ment voll­kom­me­nen Glücks er­le­be.
Aber von An­fang an. Wir fah­ren an die­sem Frei­tag An­fang Juli mit dem Zug von Lands­hut aus Rich­tung Süden. Am Schlier­see wol­len wir den ers­ten Abend ver­brin­gen, ehe es von dort aus hin­ein in die Alpen geht. Schon im Zug ist die Stim­mung bes­tens, aber viel­leicht soll es bei sol­chen Se­mi­na­ren auch genau darum gehen: Jun­gen Men­schen Dinge mit auf den Weg zu geben, Herz und Cha­rak­ter, wie es in Ar­ti­kel 131 der Baye­ri­schen Ver­fas­sung steht, damit zu bil­den, was her­kömm­li­cher Un­ter­richt nicht leis­ten kann. Mit einem ge­mein­sa­men Abend­essen be­ginnt un­se­re Reise, und es sol­len noch un­zäh­li­ge Mo­men­te fol­gen, die einer Er­in­ne­rung ver­die­nen.
Am Sams­tag­mor­gen star­tet end­gül­tig das große Aben­teu­er. Die eher fla­chen Münch­ner Haus­ber­ge geben einen Vor­ge­schmack auf das, was noch auf uns zu­kommt. Wir fol­gen zu­nächst einem Forst­weg und ge­lan­gen bald auf den Spit­zings­at­tel. An die­sem herr­li­chen Som­mer­sams­tag be­geg­nen wir immer wie­der Wan­de­rern. Na­tür­lich fal­len wir als 16-köp­fi­ge Grup­pe auf, wer­den aber auch auf­ge­nom­men in den Kreis derer, die die Natur nut­zen. Die Schü­ler mer­ken schnell: Wenn alle auf­ein­an­der Rück­sicht neh­men, ist genug Platz in den Alpen. Kom­man­dos wer­den ge­ge­ben, alle ma­chen sich ge­gen­sei­tig auf Pas­san­ten auf­merk­sam.
Wir que­ren bald die Gren­ze nach Ös­ter­reich, ma­chen Mit­tags­pau­se an einer klei­nen Klamm, stär­ken uns, um die letz­ten Ki­lo­me­ter des Tages zu meis­tern, grü­ßen mit einem freund­li­chen „Griaß Eich“ jeden, der uns be­geg­net. Das kommt gut an, ne­ga­tiv be­geg­net uns, auch in den fol­gen­den fünf Tagen, nie­mand. Warum auch?
Zu­nächst ist das Wet­ter noch traum­haft, je näher wir aber dem ers­ten Halt, Kal­ten­bach in Tirol, kom­men, desto dunk­ler wer­den die Wol­ken. Vor den ers­ten Re­gen­trop­fen kom­men wir im Hotel an. Auch das ge­hört zum Lern­pro­zess dazu: dass drau­ßen in der Natur wenig plan­bar ist. Am Abend, nach dem ge­mein­sa­men Essen, sit­zen wir noch ein­mal zu­sam­men, und Jonas, der für die Etap­pe des zwei­ten Tages zu­stän­dig ist, schwört uns ein auf den schwie­rigs­ten Tag un­se­rer Tour: Dass es rauf­ge­hen wird auf knapp 2500 Meter, dass wir zahl­rei­che Ki­lo­me­ter fah­ren wer­den, even­tu­ell un­se­re Räder tra­gen müs­sen.
Als wir am Mor­gen dann auf­ste­hen, scheint zu­nächst die Sonne. Die Stim­mung ist gut, fast alle waren früh im Bett. Die erste Etap­pe hat doch ihre Spu­ren hin­ter­las­sen. Es geht hin­ein ins be­rühm­te Zil­ler­tal, man­cher kennt die Ge­gend hier nur vom Ski­fah­ren. Auf dem gut aus­ge­bau­ten Rad­weg spu­len wir Ki­lo­me­ter um Ki­lo­me­ter hin­un­ter, wohl wis­send, dass es das noch nicht war. In May­r­ho­fen än­dert sich das. Eine ebene Stre­cke wer­den wir von nun an für Stun­den nicht fah­ren, der Un­ter­grund wech­selt immer wie­der, nach fei­nen Trails fol­gen schier end­los er­schei­nen­de Pass-Ser­pen­ti­nen.
Das erste Mal kommt man­cher mei­ner Schü­ler an seine Gren­zen. Würde an nor­ma­len Tagen viel­leicht ab­stei­gen, um­keh­ren, sich ab­ho­len las­sen. In der Grup­pe aber will sich kei­ner eine Blöße geben – auch dann nicht, als von einem Mo­ment auf den an­de­ren der schö­ne Son­nen­schein ver­schwin­det, und es die Schleu­sen über uns öff­net. Kalt, nass, die Ober­schen­kel bren­nen, Aus­sicht auf ki­lo­me­ter­lan­ge Auf­fahr­ten – kein Tag, an dem Schu­le Spaß macht. Ei­gent­lich. Und doch könn­te die Stim­mung nicht bes­ser sein. „Des g’hört halt auch dazu, Herr Span­rad“, höre ich nur. Und lerne, dass ich diese jun­gen Men­schen viel­leicht auch ein wenig un­ter­schätzt habe.
Bald zeigt sich die Sonne wie­der, und als wir den Schle­geis­spei­cher auf knapp 1800 Me­tern er­rei­chen, zei­gen sich alle über­wäl­tigt von der Macht der Natur. Karg ist es hier oben, das Hoch­ge­bir­ge haben man­che aus die­ser Nähe noch nicht er­lebt. Nach einer kur­zen Pause geht es wei­ter, und rasch soll es vor­bei sein mit dem Spaß. Sind wir bis­her noch ge­fah­ren, ma­chen wir von nun an vor allem eins: un­se­re Räder schie­ben und ir­gend­wann sogar tra­gen. Von be­fahr­ba­ren Stra­ßen sind wir weit weg, sind mit­ten drin im Hoch­ge­bir­ge. das Wort Al­pen­über­que­rung, es be­kommt jetzt eine ganz an­de­re Be­deu­tung. Immer wie­der blei­ben wir aber auch ste­hen, um die Schön­heit die­ser schrof­fen Land­schaft zu ge­nie­ßen. Doch auch jetzt höre ich eines nicht: schimp­fen­de Schü­ler. Das liegt viel­leicht daran, dass die meis­ten zu sehr be­schäf­tigt sind, zu sehr an ihre kör­per­li­chen Gren­zen ge­lan­gen, letz­te Kräf­te mo­bi­li­sie­ren wie noch nie in ihrem Leben zuvor viel­leicht.
Und es ist aber auch eine men­ta­le Sache, die alle eint: Wir haben ein Ziel. Und daran den­ken wir, als wir schon über zwei Stun­den nicht mehr im Sat­tel ge­ses­sen sind, wenn wir jeden ein­zel­nen Mus­kel spü­ren, wäh­rend wir die Räder hin­auf­wuch­ten über Fels­bro­cken, teil­wei­se so groß wie ein durch­schnitt­li­cher Fünft­kläss­ler. Und meine Rad­ler mo­ti­vie­ren sich ge­gen­sei­tig, hel­fen, wenn ein Hin­der­nis mal doch zu ex­trem wird, tra­gen sich auch mal ge­gen­sei­tig Rad und Ge­päck. Mun­tern sich auf, seh­nen nach jeder Kurve das Ziel her­bei – und kom­men schlie­ß­lich weit nach der an­vi­sier­ten Zeit auf dem Pfit­scher Joch und damit an der Gren­ze zu Süd­ti­rol an.
Glücks­kin­der sind wir an die­sem Tag. Als wir das Pfit­scher-Joch-Haus be­tre­ten, öff­nen sich die Wol­ken über uns end­gül­tig. Mein per­sön­li­ches High­light: Es gibt Wei­hen­ste­pha­ner Weiß­bier. Und als wir wie­der auf­bre­chen, um die letz­ten 70 Ki­lo­me­ter bis hin­ein ins Etsch­tal an­zu­ge­hen, be­glei­ten uns die war­men Strah­len der Nach­mit­tags­son­ne. Ein Ge­nuss wird die fol­gen­de Ab­fahrt hin­ein ins Tal über feine Trails und Kies­we­ge. Dass wir an die­sem Tag kurz vor dem Ziel noch einen Rei­fen­scha­den haben? Ge­schenkt. So­fort eilen alle her­bei, jeder bringt sein Ta­lent mit ein, wir re­pa­rie­ren ge­mein­sam das be­schä­dig­te Rad. Eh­ren­sa­che.
Am drit­ten Tag legen wir viele Ki­lo­me­ter zu­rück, um un­se­rem Ziel, dem Gar­da­see, näher zu kom­men. Die Fahrt an sich bleibt er­eig­nis­arm, Umso schwe­rer, wie­der über die ei­ge­nen Gren­zen zu gehen. Am Ende wer­den alle für die Mühen be­lohnt. Wir bie­gen um eine der un­zäh­li­gen Kur­ven, die wir an die­sem Tag ge­fah­ren sind, und ste­hen vor dem Pan­ora­ma der Geis­ler-Grup­pe. Wei­ter­fah­ren will in die­sem Mo­ment nie­mand, Han­dys wer­den ge­zückt, die­ser Ort mit­ten in den Do­lo­mi­ten dürf­te der meist­fo­to­gra­fier­te in die­ser Woche wer­den.
Tag vier un­se­rer Al­pen­über­que­rung soll dann doch zu einer klei­nen Zer­rei­ß­pro­be wer­den. Wir haben ein gro­ßes Ziel, die Sei­ser Alm. Doch wäh­rend der Mit­tags­pau­se wird klar, dass wir die­ses nicht mit allen 16 Al­pen­über­que­rern er­rei­chen wer­den. Wäh­rend Jo­han­nes noch am Vor­mit­tag eine Wur­zel zum Ver­häng­nis ge­wor­den war, er­wischt es Ni­klas kurz vor der Pause: eine ein­fa­che Bo­den­wel­le. Beide pau­sie­ren am Nach­mit­tag, fah­ren erst am nächs­ten Mor­gen wie­der mit. Si­cher­heit geht vor. Wie­der küm­mern sich meine Schü­ler ge­gen­sei­tig um sich, spre­chen sich Mut zu, trös­ten, zei­gen, dass sie alle trotz­dem eine Grup­pe blei­ben und sich am Ende alle Al­pen­über­que­rer nen­nen dür­fen.
Am Nach­mit­tag be­ginnt die Zeit, in der wie­der jeder ein ei­ge­nes Man­tra braucht. Weil es wei­ter nur berg­auf geht. Ei­ni­ge hören jetzt Musik. Me­tal­li­ca dröhnt laut, Volks­mu­sik immer wie­der auch. Es ist jetzt eine men­ta­le Ge­schich­te. Kör­per­lich kön­nen alle noch. „Man schafft mehr, als man sei­nem Kör­per ei­gent­lich zu­traut“, sagt ein Schü­ler zu mir. Schlie­ß­lich er­rei­chen wir die Sei­ser Alm, jene Hoch­alm mit­ten in den Do­lo­mi­ten, die zu den viel­leicht schöns­ten Fle­cken die­ser Erde ge­hört. „Zefix, is des schee do herom, Herr Span­rad“, ent­fährt es Do­mi­nik – ehr­li­cher kann Be­geis­te­rung nicht sein. Durchs la­di­ni­sche Fas­sa­tal be­en­den wir diese drit­te ex­tre­me Etap­pe hin­ter­ein­an­der schlie­ß­lich.
Der fünf­te und damit vor­letz­te Tag soll ei­gent­lich ein recht ent­spann­ter sein: durchs Fas­sa­tal run­ter nach Tri­ent. Dass wir heute noch Sa­chen er­le­ben, die man bei Jo­chen Schweit­zer so nicht bu­chen kann, das wis­sen wir mor­gens noch nicht. Es geht er­neut rein in feine Trails. Mal sind Schie­be- und Tra­ge­stre­cken dabei. Plötz­lich kommt vom Kopf der Grup­pe die Hi­obs­bot­schaft: Aus! Schluss!“ Unser Weg ist durch einen hüft­tie­fen Fluss weg­ge­spült - an eine Wei­ter­fahrt: nicht zu den­ken. Was tun? Zwei Stun­den re­tour, über Trage- und Schie­be­stre­cke, wol­len wir nicht. Schlie­ß­lich ei­ni­gen wir uns dar­auf, ge­mein­sam das Hin­der­nis zu meis­tern. Fünf, mein Kol­le­ge To­bi­as Meier und ich mit­ten drin, stel­len sich in den eis­kal­ten Fluss. Wuch­ten alle Fahr­rä­der von einem Ufer zum nächs­ten, brin­gen unser gan­zes Ge­päck tro­cken auf die an­de­re Seite. Jeder in un­se­rem Team über­nimmt eine Auf­ga­be. Es wird viel­leicht der Mo­ment, der allen am nach­hal­tigs­ten in Er­in­ne­rung bleibt.
Am sechs­ten und letz­ten Tag kur­beln wir die letz­ten 1000 Hö­hen­me­ter hin­auf Rich­tung Sacretal, ehe es, meist über traum­haf­te Rad­we­ge, hin­un­ter Rich­tung Gar­da­see geht. Es hat etwas Be­ein­dru­cken­des, wenn 14 Schü­ler hin­ter einem her­fah­ren, auf­ge­zo­gen wie an einer Schnur. Am Nach­mit­tag er­rei­chen wir schlie­ß­lich Riva del Garda. Nach 430 ge­fah­re­nen Ki­lo­me­tern und mehr als 9000 Hö­hen­me­tern. Nach einer Tour, die doch ex­tre­me­rer war als ge­dacht. Und erst ein­mal ste­hen alle ruhig und fast re­gungs­los am Ufer und bli­cken auf die schier end­lo­se Weite des Sees. Es ist die­ser Mo­ment des schein­bar voll­kom­me­nen Glücks, den diese 14 jun­gen Men­schen er­le­ben, der mich darin be­stä­tigt, vor gut einem Jahr nicht Nein ge­sagt zu haben.

Matthias Spanrad

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